JEDERMANN UND ICH – Ein Porträt in 3 Kapiteln

Katharina Pethke, Philipp Hochmair ⎜A 2023 ⎜74 min ⎜DCP ⎜bw/colour
produced by Pethke/Hochmair

Kinostart: 14.04.2024

World Premiere at Diagonale 2023

Preis für Bestes Sounddesign Dokumentarfilm, Diagonale 2023

Kritik im Filmdienst

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Wie porträtiert man jemanden, bei dem man sich nie sicher sein kann, wer er eigentlich ist? Nach den Filmen JEDERMANN (2016) und JEDERMANN UND ICH (2021) ist dies der dritte, diesmal vom Protagonisten selbst initiierte Versuch, dem Schauspieler Philipp Hochmair filmisch nahezukommen. Über drei Kapitel hinweg gerät Hochmair zunehmend aus dem Fokus und die Form des Porträts selbst in den Blick eines Essays in Schwarz-Weiß.

Wie porträtiert man jemanden, bei dem man sich nie sicher sein kann, wer er eigentlich ist? Jemanden, der das Vorspielen zum Beruf gemacht hat und der in Talkshows als „Ausnahmeschauspieler“ vorgestellt wird? Jemanden wie Philipp Hochmair, der alle Rollen auf einmal spielt, wie etwa in seiner Soloinszenierung von „Jedermann“?
Nach den Filmen JEDERMANN (2016) und JEDERMANN UND ICH (2021) ist JEDERMANN UND ICH – Ein Porträt in 3 Kapiteln nun der dritte, diesmal vom Protagonisten selbst initiierte Versuch, jemandem filmisch nahezukommen, der zugleich alle und niemand ist. Wer den ersten Film kennt, weiß, dass die Annäherung an die Person Hochmairs zum Scheitern verurteilt ist. Dieses Scheitern aber wendet Pethke im neuen Film einmal mehr ins Produktive und macht es zum schwarz-weißen Hintergrund, vor dem sie ihr Material zu E-Gitarren-lastigem Sound ausbreitet: Hochmair schlafend, Hochmair essend, Fotos aus der Künstlergarderobe oder Auftritte als Jedermann treffen auf Naturaufnahmen und eine komplexe Soundcollage. Über drei Kapitel hinweg verschiebt sich der Fokus weg von der Person Hochmairs hin zu einer Untersuchung der filmischen Porträtform selbst. Während im ersten Kapitel Hochmairs Audionotizen dominieren, ist es im dritten Teil ein von Pethke eigens eingesprochenes Voice-over, in dem sie das Nähe-Distanz-Verhältnis von Filmemacherin und Protagonist in seiner Struktur zu fassen versucht. Im Zentrum immer die Dreiecksbeziehung: Hochmair – Pethke – Kamera. Letztere liefert Close-ups und verschwommene Bilder, denen man beim Fokussieren zusehen kann und die unerlässlich „Wer bist du?“ fragen. Damit kreist JEDERMANN UND ICH – Ein Porträt in 3 Kapiteln um nichts Geringeres als das Wirklichkeitsversprechen des Dokumentarischen.
Nicht erst seit der Arbeit an JEDERMANN realisiert Pethke Porträts, die dem Porträtieren selbst misstrauen. Auf die Frage hin, warum auf JEDERMANN 2021 JEDERMANN UND ICH folgte, antwortete Pethke 2021 in einem Interview: „Ich hatte nach dem ersten Film das Gefühl, ich habe noch nicht ganz verstanden, was da passiert ist, und hab dann den neuen Film angefangen. (…) Diese beiden Positionen klar zu haben – ich, die (beobachtende) Dokumentarfilmerin, er der Wechsler der Rollen und Identitäten, ich, die einen Film machen möchte, und er, der darauf angewiesen ist, angeschaut zu werden – all das ist eine total spannende Beziehungskonstellation, und ich muss daraus aus meiner Perspektive erzählen, als ein Porträt über Bande sozusagen.“
Ob nun alles geklärt ist, bleibt – zum Glück! – auch dieses Mal offen.
(Katalogtext, ek)

Regie: Katharina Pethke, Philipp Hochmair
Buch: Katharina Pethke, Philipp Hochmair
Kamera: Katharina Pethke, Eric Bossaller
Schnitt: Katharina Pethke, Philipp Hochmair, Julia Steinke
Originalton: Philipp Hochmair, Timo Selengia
Musik: Gerriet K. Sharma, Die Elektrohand Gottes
Sounddesign: Clemens Endreß
Produzent*innen: Katharina Pethke, Philipp Hochmair

JEDERMANN UND ICH / EVERYMAN AND I

Katharina Pethke ⎜D 2021 ⎜65 min ⎜DCP ⎜bw/colour
produced by Pethke/Fünferfilm

World Premiere at DOK Leipzig 2021

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Festivals

Internationale Premiere: Crossing Europe, Austria 2022
Doc Aviv, Israel 2022 – Depth of Field Competition
DokKa Karlsruhe, Germany 2022
Nonfiktionale, Germany 2022
Filmkunstwochen München, Germany 2022

Wie nah ist zu nah? Der Versuch, einen Porträtfilm über einen Schauspieler zu drehen, wird für die Filmemacherin zu einem Kampf von Nähe und Distanz und zu einem Balanceakt zwischen Fiktion und Realität.

Is it possible to get close to someone who sees their sole task in life in losing themself in the parts they play? How can a film portrait be created when every image only contributes to further fictionalization? Who is facing each other when the line between fact and fiction becomes blurred? Katharina Pethke looks back to dissect the past and her contradictory feelings for the celebrated actor Philipp Hochmair, following the lines of her own artistic and personal doubts.

The magnificent black and white images guide the eye from the surfaces to the details, whose meaning the director probes and questions in her subjective, tentative voiceover. The film preserves the rawness of unfinished reflections without getting mired in vagueness. Step by step, the honest assessment of a desire is achieved; a desire which could function only in the delicate balance between attraction and repulsion and from which Katharina Pethke frees herself by adopting a position of artistic distance. Her sometimes self-mocking commentary is supported by dramatic guitar riffs (provided by Hochmair’s band project “Die Elektrohand Gottes”) and underpinned by filmic references, all of which revolve around the making of images and the relationship between reality and imagination.

Luc-Carolin Ziemann

Link zum MDR Filmtipp:
von Stefan Petraschewsky, MDR KULTUR-Filmredakteur

„Jedermann und Ich“ – Persönliches Beziehungsporträt von zwei Künstlerpersönlichkeiten

Das erste Bild: eine Totale mit flachem Stausee. Ein Löffler stolziert hindurch und fliegt weg. War es das schon? Dieser ganze Film als Essenz, hier kurz zusammengefasst in diesem Prolog? Es handelt sich um einen Film, der in voller Länge etwas zeigen will, was vielleicht nur schwer zu zeigen ist. Etwa die Suche nach der Wahrheit in der Hingabe an die Kunst. Es ist auch ein Film über Nähe und Distanz, der eine Dreiecksbeziehung thematisiert zwischen einer Dokumentarfilmerin, einem Schauspieler und einer Kamera respektive einem Fotoapparat.

Katharina Pethke filmt in schwarzweiß. Sie ist eine Meisterin der Montage, was immer auch die Soundspur umfasst. Steht das Bild still, übernimmt der Ton die Bewegung. Pethke filmt aus der Ich-Perspektive. Dieses Ich zieht in eine neue Stadt und hat eine neue Arbeit. Irgendwann ist er – der Schauspieler – da und schläft wohl im selben Bett wie die Filmemacherin, glaubt man den Bildern. „Während ich mit meiner neuen Rolle haderte“, sagt das Ich, „wechselt er mühelos seine verschiedenen Identitäten. Konnte alles sein und jeder.“

Der Film heißt dann auch „Jedermann und ich“. Was neben jeder sein auch den „Jedermann“ bedeutet, den der Schauspieler Philipp Hochmair in Salzburg spielt. Am Ende ist es wohl ein Abschied, eine Art „Winterreise“ und ein sehr persönliches Doppelporträt über zwei Künstlerpersönlichkeiten. Eine Annäherung der besonderen Art, die immer wieder neue, großartige Bilder findet. Wahrhaft ein schöner, wirklich künstlerischer Dokumentarfilm.

JEDERMANN / EVERYMAN

Katharina Pethke ⎜D 2016 ⎜30 min ⎜S16mm ⎜s/w
Montage: Daniela Kinateder
funded by BKM and FFHSH

World Premiere at Crossing Europe 2016

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Festivals

2016 14th International Short & Independent Film Festival Dhaka, Bangladesh
2017 Rencontres Internationales Paris/Berlin
2017 4th International Motion Festival Cyprus

The actor Philipp Hochmair is working on becoming the EVERYMAN. The filmic narration revolves around the mime’s quest for identity of his diverse persona. He seems to lose self-perception, becomes desperate, then rises again – needing to be nothing and nobody to become everything and everyman?

Philipp Hochmair als Jedermann. Ein Selbstdarsteller. Draufgänger. Exhibitionist. Provokateur. Einsamer Wolf. Eine eigenwillige filmische Erzählung vom Suchen und Hinterfragen von Identität, von selbsternannten und fremdbestimmten Rollenbildern, die Handeln und Freiheit definieren. Von einem Schauspieler, der auf allen denkbaren Ebenen konstruiert und dekonstruiert (wird), dessen Selbstbild sich aufzulösen droht, und an deren Ende vielleicht genau darin seine Chance liegt: Niemand sein bedeutet, Jedermann sein zu können.

https://www.fbw-filmbewertung.com/film/jedermann_1

 

Philipp Hochmair ist Schauspieler. Ob für Kamera oder Bühne, ob für ein großes oder ein kleines Publikum – Hochmair ist nur dann in seinem Element, wenn er spielen kann und wenn er eine Rolle annimmt, sie ausfüllt und sie ihn ausfüllt. Im Jahr 2013 begann Hochmair, Hugo von Hoffmannsthals „Jedermann“ als Ein-Personen-Stück zu entwickeln. Die Filmemacherin Katharina Pethke begleitet Hochmair bei diesem Unternehmen. Doch anstelle von simplen Beobachtungen von Hochmairs Kunst geht sie in ihrer Dokumentation noch einen Schritt weiter. Gekonnt und kunstvoll inszeniert sie die Beobachtungen. Die Räume, die sie filmt, gestaltet sie mit besonderem Licht, arbeitet mit Montage, mit Auslassungen, zeigt den Künstler in seinem Wirkungskreis und macht so auch seine Besessenheit und Getriebenheit deutlich. Vor allem am Ende des Films, wenn Hochmairs Performance beendet ist und er in der Garderobe sitzt, wird die enge Beziehung des Darstellers zum Rezipienten deutlich. Hier schaut Hochmair in die Kamera. Er ist leer, wie ausgepumpt, er hat alles gegeben. Doch die Kamera lässt ihn nicht los, fordert ihn, beobachtet ihn weiter. Hier spürt man, wie nah sich Film und Gefilmter kommen. Und man spürt auch die Faszination, die Hochmair und sein Beruf auf den Betrachter ausüben. Genau das ist die Dokumentarfilmkunst, die Pethke und ihr Film JEDERMANN leisten. Eine spannende und künstlerisch ganz eigene Beobachtung über einen Künstler, seine Kunst und sein Wesen.

 

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

 

Der österreichische Theaterschauspieler Philipp Hochmair – nur gelegentlich im Kino zu sehen – gilt als eine der Ausnahmeerscheinungen der deutschsprachigen Theaterlandschaft: Ein Spielwütiger, der vollkommen in seinen Rollen aufgeht und der beispielsweise Hugo von Hofmannsthals berühmten „Jedermann“ als One-Man-Show auf die Bühne bringt, in der er jede einzelne der zahlreichen Rollen selbst übernimmt. Ein Kraftakt, der seinesgleichen sucht. Katharina Pethkes dokumentarisches Essay ist der Versuch einer Annäherung an diesen Mann, der selbst angesichts der Kamera immer zu spielen scheint. Auf diese Weise entsteht ein elegantes Vexierspiel um (Schau)Spiel und Leben, Fiktion und Realität, Rolle und Selbst.

 

Die Impressionen, die Pethke dabei einfängt, fügen sich beinahe beiläufig zu einem schillernden Mosaik zusammen, das verschiedene Aspekte und Facetten des Ausnahme-Schauspielers vereint: Seine unglaubliche Vitalität, seine Rastlosigkeit und Unruhe, die ihn atemlos von Ort zu Ort, von Rolle zu Rolle hetzen lässt, das Unbehauste seiner Existenz, das nur ganz selten zu Ruhe oder gar zu Stillstand kommt. Und gelegentlich blitzt zwischen diesen Bildern auch eine Form der Verlorenheit durch, die Ahnung eines Mannes, der vielleicht vor lauter Rollen und Aneignungen fremder Menschen gar nicht mehr selbst weiß, wer er eigentlich wirklich ist.

Dabei ist der Film trotz seiner Nähe zu dem Schauspieler keineswegs ohne Distanz: Der für den Beruf eines Schauspielers vielleicht notwendige Narzissmus, der hier immer wieder durchscheint, seine Freimütigkeit, mit der er bekennt, dass er geradezu süchtig ist nach verschiedenen Formen von (Liebes)Beziehungen, sein ständiges Posieren und Sich-Ausstellen – all das ist nicht nur sympathisch, sondern zeichnet ein durchaus ambivalentes Bild des Mimen, ohne diesen jemals bloßstellen zu wollen.

 

Am Ende sehen wir Hochmair nach seinem Auftritt, er wirkt erschöpft und zum ersten Mal auch ein wenig genervt von der ständigen Anwesenheit der Kamera, die ihm in diesem Moment der Verausgabung auf den Leib rückt. Ein Blickduell, ein Lachen und dann der Wurf mit der gerade abgezogenen Perücke lassen urplötzlich einen Mensch aufscheinen, der eine ganz weiche und verletzliche Seite offenbart. Und ja – man würde durchaus gerne mehr von diesem Ausnahmekünstler in Erfahrung bringen – sofern er einen denn ließe.

 

Die Jury der FBW erteilte diesem stimmigen und vielschichtigen Porträt eines Schauspielers das Prädikat „besonders wertvoll“.